Heinrich von Kleist ist berühmt für seine Novellen. In einer dieser Geschichten geht es um eine untadelige Witwe, die in Kriegszeiten und während einer Ohnmacht, also ohne ihr Wissen, vergewaltigt und schwanger wird. Im Laufe der Geschichte nun muss sie sich mit dieser unerklärlichen Schwangerschaft abfinden und erlebt eine moralische Erniedrigung ohnegleichen. Ihre so fest gefügte Welt bricht vollends zusammen, als ihre Eltern, bei denen sie lebt, sie aus dem Haus weisen, ein Augenblick tiefster Demütigung, erlebt in dem Bewusstsein, unschuldig zu sein. Unglück und Verwirrung können nicht größer sein. Doch in diesem Augenblick »hob sie sich plötzlich, wie an ihrer eigenen Hand, aus der ganzen Tiefe, in welche das Schicksal sie herabgestürzt hatte, empor.« Sie nimmt ihr Leben in ihre eigenen Hände und die Geschichte nimmt doch noch ein gutes Ende.
Vielleicht kennen wir Menschen, denen wie dieser Frau der Boden unter den Füßen weggezogen wurde und die mit einem Male feststellen mussten, dass alles, woran sie sich bisher gehalten haben, nicht mehr ist. Keine Sicherheit, keine Orientierung, nichts. Ob man sich da wie Münchhausen am eigenen Schopf aus dem Sumpf ziehen kann, wie Kleist es diese Frau in der Novelle tun lässt? Ich glaube, das wird nur ein schöner Traum sein. Besser ist es, das Angebot Gottes anzunehmen, die ausgestreckte Hand zu ergreifen, die Gott den Menschen in Christus entgegenstreckt, als auf eigene Kraft zu vertrauen. Und der, welcher Christus in seinem Leben erfahren hat, darf in solchen Situationen die Erfahrung machen, dass Gott ihn festhält, auch gegen sein eigenes Gefühl. Karl-Otto Herhaus