Mit 109 Jahren starb im November 2005 Alfred Anderson in einem Pflegeheim seiner schottischen Heimat Newtyle. Anderson war einer der letzten Überlebenden der legendären Weihnachtsnacht an der französischen Westfront im Ersten Weltkrieg. Am Heiligabend 1914 ließen Tausende junger deutscher, schottischer und französischer Soldaten die Waffen schweigen und krochen aus ihren mit Blut und Pulver verschmierten Schützengräben, um miteinander das Weihnachtsfest zu feiern.
»Ich erinnere mich an diese Stille, an die merkwürdige Stille«, sagte Anderson in seinem letzten Interview. »Zuvor hörte ich monatelang nur das Rattern der Maschinengewehre und plötzlich wünschten wir dem Feind fröhliche Weihnachten.« Unter den quietschenden Begleittönen der Dudelsäcke sang ein dreisprachiger Chor in den sternenklaren Nachthimmel hinein:
»Stille Nacht, heilige Nacht! / Alles schläft, einsam wacht / nur das traute hochheilige Paar, / holder Knabe in lockigem Haar, / schlaf in himmlischer Ruh.«
Immer noch zieht die Botschaft des ersten Weihnachtsliedes von Bethlehem um die Welt und ruft die Menschen auf, aus den vielen Gräben ihrer Zerstrittenheit und Isolation nach oben zu sehen und auf die Worte des himmlischen Chores zu hören: »Fürchtet euch nicht! Denn siehe, ich verkündige euch große Freude. Denn euch ist heute ein Retter geboren« (Lukas 2,10-11).
Euch, die ihr hoffnungslos in der Tiefe eurer Nöte liegt; euch, die ihr elend, arm und am Ende seid; euch ist der Heiland, der alles heil machen kann, geboren. Das göttliche Friedensangebot jener ersten Nacht gilt heute genauso, unverändert. Martin von der Mühlen