Lilli Jahn ist eine wohlhabende jüdische Ärztin, die ihren Beruf liebt und zugleich gerne Mutter ist, eine hochgebildete, sehr temperamentvolle Frau. Mit der Machtergreifung der Nazis ändert sich alles. Die wachsende antisemitische Hetze macht Lilli schwer zu schaffen. Es ist ergreifend zu lesen, wie die einst so lebensfrohe Frau immer ängstlicher wird und schließlich jeder fremden Person ausweicht. Viele ehemalige Freunde wollen nichts mehr mit ihr zu tun haben, auch ihre Ehe hält den Belastungen nicht stand. Ihr Mann, ein Arier, lässt sich von Lilli scheiden und heiratet eine Kollegin. Irgendwann verlässt Lilli ihr Haus nicht mehr – bis 1943 der Tag kommt, an dem sie abgeholt wird. Es folgen die Festnahme durch die Gestapo, Zwangsarbeit, am Ende der Transport nach Auschwitz, wo sie 1944 ermordet wird. Aus dieser Zeit stammen 250 Briefe der nun weitgehend auf sich allein gestellten fünf Kinder. Sie schreiben, sooft sie können, beziehen die Mutter in ihren Alltag mit ein und bringen ihre Liebe, ihren Kummer und ihre Hoffnung auf ein Wiedersehen zum Ausdruck. Außerdem schicken sie Lebensmittelpakete und Wäsche. Unterstützung vom Vater kommt nicht.
Im Jahr 1998 werden die Briefe im Nachlass von Lillis Sohn wiedergefunden und mit dem Einverständnis der anderen Geschwister veröffentlicht. Es ist erschütternd zu lesen, wie sehr die Kinder sich bemüht haben, in einer sehr schweren Zeit für ihre Mutter das Beste zu tun, sie zu trösten und ihren Lebenswillen zu erhalten – auch wenn es letztendlich vergeblich war. Wie schlimm, wenn wir heute, wo alles so viel einfacher ist, keine Zeit und Liebe für unsere Eltern übrighaben! Die Bibel ermahnt jeden von uns, die eigenen Eltern zu ehren. Anna Schulz