Der dritte Ausspruch, den Jesus am Kreuz ausrief, galt seiner Mutter Maria und seinem treuen Jünger Johannes. Beide standen unterm Kreuz und hatten die Hinrichtung mitverfolgt. Wahrscheinlich lebte Marias Mann Joseph zu diesem Zeitpunkt schon nicht mehr, sie war also verwitwet und damit finanziell nicht versorgt. Als ältester Sohn übernahm Jesus daher die Verantwortung, sich um ihre Zukunft zu kümmern. Er übertrug Johannes die Aufgabe, so für sie zu sorgen, als wenn sie seine eigene Mutter wäre. Die äußerst knappen Formulierungen zeigen, dass Jesus nur unter größter Anstrengung sprechen konnte. Seine Worte sind auf das Wesentliche reduziert. Und doch beeindrucken sie durch ihre tröstende und liebevolle Tiefe.
Während er selbst größte Schmerzen erduldete, hatte Jesus einen Blick für die Nöte und Bedürfnisse anderer. Auch in dieser Szene zeigt sich komprimiert, dass Jesus das lebte, was er lehrte. Immer wieder hatte er in seinen Predigten darauf hingewiesen, dass selbstlose Liebe statt lieblosem Egoismus die Basis ist, auf der Menschen zusammenleben sollen. Und er hatte gelehrt, dass das göttliche Gebot »Du sollst Vater und Mutter ehren« nicht an Gültigkeit verloren hat. Er erfüllte diesen göttlichen Maßstab auf vollkommene Weise, selbst in dieser extremen Situation.
Von Jesus können wir lernen, mehr um das Wohl anderer besorgt zu sein, als über unsere eigenen Nöte zu klagen. Wer einen Blick dafür entwickelt, anderen zu helfen und sich für sie einzusetzen, wird zwangsläufig weniger mit sich selbst beschäftigt sein. Und nur das macht wirklich frei. Wäre heute nicht ein guter Tag, um sich für andere einzusetzen?
William Kaal