Als junger Mann hatte ich die Gelegenheit, an einer Führung durch den Aachener Dom teilzunehmen. Sie wurde ein unvergessliches Erlebnis. Unser Führer, ein Prälat aus dem Aachener Domkapitel, war nicht nur Theologe, sondern auch Historiker. Er verstand es vorzüglich, die politischen Ideen zu den geistlichen in Beziehung zu setzen. Beide schlagen sich nämlich in der Architektur dieses Domes nieder. Nach althergebrachter Sitte plante auch Karl, sich ein Denkmal zu setzen. So kam es zum Bau des Aachener Doms. Aachen war sein Lieblingsort. Hier erholte er sich gern von seinen Feldzügen, die ihn durch halb Europa gebracht hatten. Die Durchdringung Europas mit der christlichen Kultur wurde unter seiner Führung zu einer Erfolgsgeschichte.
Karl war also mehr als ein tatkräftiger Eroberer. Er wird heute gerne »Vater Europas« genannt. Er stand mit seinem Reich in der Tradition des Römischen Reiches. Davon zeugt der Aachener Dom, der von ihm mit deutlicher Orientierung an einem weit entfernten Vorbild, nämlich der Hagia Sophia in Konstantinopel gebaut wurde. Heute vor 1200 Jahren, am 28. Januar 814, starb er und wurde in ebendiesem Dom beigesetzt.
Karl war nicht der Erste und Einzige, den Gott hat groß werden lassen. Auch von Salomo, dem König Israels, wird dies gesagt. Doch was bleibt übrig von solcher Größe und zu welchem Zweck diente sie? Von Aachen geht längst keine Macht mehr aus und das Reich Salomos war schon bald nach seinem Tod im Niedergang. Und Macht nützt auch nur dann etwas, wenn sie in Verantwortung vor Gott ausgeübt wird. Ob Kaiser, König oder einfacher Bürger, vor Gott muss sich einmal jeder verantworten für das, was er getan hat. Da zählt dann kein Denkmal, das man sich selber gesetzt hat. Karl-Otto Herhaus