»Unser Vater, der du bist im Himmel«, murmelt Herr Quengelmann, während er schaut, wer alles da ist. Sein Blick wandert über die Trauergemeinde, bleibt am Hut von Schulfreundin Berta hängen, mustert dann die Handtasche von Schwägerin Emilie und verfängt sich schließlich im Geäst einer Linde, wo ein Wildtaubenpärchen ihn daran erinnert, dass abends beim Rassetauben-Züchterverein noch etwas geboten wird. »Dein Wille geschehe, wie im Himmel, so auch auf Erden«, betet er weiter, während er überlegt, was er wohl anziehen wird. »Und führe uns nicht in Versuchung«, - er schaut verstohlen auf seine Uhr - »sondern erlöse uns von dem Bösen«. Ja, das Böse. Seufzend denkt er an seinen unausstehlichen Nachbarn. »... und die Herrlichkeit in Ewigkeit. Amen«, sagt er mit besonderem Nachdruck, froh, dass es gleich was zu Trinken gibt.
»Wenn ihr betet, sollt ihr nicht plappern wie die Heiden«, hatte der Herr Jesus Christus seine Jünger gelehrt, bevor er ihnen das, was man »Vaterunser« nennt, aufsagte. Es war nicht als liturgische Litanei gedacht, sondern sollte ein Mustergebet, so etwas wie eine Prioritätenliste, sein. So sollen zum Beispiel Anbetung und Ehrfurcht vor Gott Vorrang vor unseren persönlichen Anliegen haben. - Ob Herrn Quengelmann bewusst ist, was er da routinemäßig abspult? »Vater«, so nennt er Gott. Die Bibel sagt uns, dass wir erst durch eine geistliche Neugeburt, nämlich durch den Glauben an den Erlöser Jesus Christus, zu Kindern Gottes werden. Dann erst sind wir wahre, Gott wohlgefällige Anbeter. Überlassen wir das Schlusswort Martin Luther: »Das Vaterunser ist der größte Märtyrer, weil es so viel gedankenlos gebetet wird.« Johann Fay