Im Chinesischen heißt »jie jie« ältere Schwester und »mei mei« jüngere Schwester. Ähnlich differenziert geht es auch bei der Bezeichnung der übrigen Familienmitglieder zu. Die unterschiedlichen Ausdrücke führen dazu, dass die Position jedes Familienmitglieds ganz exakt bestimmt ist.
Das hängt mit der Kultur des Konfuzianismus zusammen. Er wird oft als Religion angesehen, was er nicht ist. Eher ist er so etwas wie eine Lehre vom rechten Zusammenleben, eine Art Staatsphilosophie. Konfuzius ging es darum, in dem von inneren Wirren geplagten China Frieden zu schaffen durch strikte Ein- und Unterordnung des Einzelnen in einen Staat und eine Gesellschaft, die streng von oben nach unten geordnet ist. Das hatte durchaus sein Gutes, aber auch große Mängel. Ordnung wurde zwar hergestellt; aber schlecht war, dass in diesem System dem einzelnen Menschen wenig Freiheit gegeben war. Der Einzelne konnte sich kaum nach seinen Fähigkeiten entwickeln. Besonders Frauen wurden ihr Leben lang benachteiligt.
Der christliche Glaube hält zwar auch an den familiären Strukturen
z. B. fest, aber wertmäßige Unterschiede zwischen den Menschen macht er nicht. Vor Gott, so sagt die Bibel, sind alle Menschen gleich. Das war damals durchaus revolutionär. Dass der Römer nicht mehr sein sollte als ein Afrikaner, ein Sklavenhalter nicht mehr als ein Sklave, das war eine Nachricht, die den damaligen Menschen nur schwer in den Kopf wollte. Wenn heute also völlig unchristliche Staaten die Gleichheit aller Menschen einfordern, wissen sie meist nicht, dass sie eine Tradition pflegen, die christlichen Ursprungs ist. Karl-Otto Herhaus