Liest man den Tagesvers noch einmal, so kommt doch bei vielen die Frage hoch: »Warum ließ er die armen Jünger so lange zappeln, wo es ihm doch offenbar leicht fiel, ihnen zu helfen? Es wäre doch für alle besser, so meinen viele. 1. brauchten die Menschen nicht so lange in Todesängsten auszuhalten, 2. konnte er doch allen Zuschauern auf diese Weise demonstrieren, wie stark er ist und wie sehr es sich lohnt, zu seinen Leuten zu gehören, und 3. wäre seine Anhängerschar mächtig angewachsen, wenn er gleich geholfen hätte. Ja, so denken wir oft.
Aber hier kam er erst in der »vierten Nachtwache«. Damals wurde die Nacht - von 18 Uhr bis 6 Uhr - in vier Abschnitte geteilt. Die vierte Nachtwache war also die letzte, von 3 Uhr bis 6 Uhr morgens. Es begann vielleicht schon zu dämmern, als der Retter endlich kam.
Viele, die wirklich auf Gott vertraut hatten, haben Ähnliches erlebt. Nur sagten sie sich, dass Gott sie lieb hat und darum einen zwingenden Grund für sein Zögern haben musste. Das ließ sie durchhalten, bis er endlich zu ihren Gunsten eingriff. Und dieser Grund ist meistens der, dass Gott in unseren Herzen noch immer ein bisschen Selbstvertrauen sieht, mit der Situation am Ende selbst fertig zu werden. Und so lässt er uns warten, bis auch der letzte Rest davon verschwunden ist. Sonst würden wir uns nach überstandener Strapaze selbst auf die Schultern klopfen und kämen uns stark oder gut oder beides zugleich vor, und es war doch in jedem Fall Gottes Hilfe - auch wenn wir es »allein« schafften; denn ohne seine Hilfe können wir nicht einmal einen Atemzug tun. Das sollen wir lernen, damit wir die Wahrheit über unsere Abhängigkeit erfahren.
Axel Schneider