Nach dem ersten Semester ruft mich der Professor für Grafik in sein Büro. »Platte«, sagt er, »ich habe von Ihren Kommilitonen gehört, dass Sie Christ seien. Stimmt das?« – »Ja«, antworte ich ihm. »Dann«, so fährt er fort, »werden Sie sich entscheiden müssen. Entweder Sie werfen Ihren Glauben über Bord oder den Weg in die Werbung. Beides miteinander wird nicht gehen!« – »Und warum nicht?«, will ich wissen. – »In der Werbung werden Sie lügen müssen, wenn Sie Karriere machen wollen. Ich habe meinen katholischen Glauben an den Nagel gehängt.« – »Ich denke«, widerspreche ich, »dass man auch ehrliche Werbung machen kann ...« – Spöttisch lacht er: »Ich gebe Ihnen eine Pflichtlektüre mit. In der nächsten Woche sprechen wir uns wieder!«
Ich vertiefe mich in das Buch, das er mir gegeben hat. Es enthält einen heftigen Disput zwischen einem Priester und einem Atheisten, bei dem der Atheist die überzeugenderen Argumente hat.
Eine Woche später stehe ich erneut vor meinem Professor. »Nun?«, will er wissen, »Was sagen sie zu dem Buch?« – »Mit Verlaub, Herr Professor«, antworte ich ihm, »ich hätte andere Argumente vorgebracht als der Priester. Für mich ist die Bibel das Wort Gottes und damit die absolute Wahrheit!« – »Pah! Was ist Wahrheit?« – »Herr Professor, diese Frage hat schon ein anderer gestellt.« – »Ja, Nietzsche.« – »Entschuldigung, aber Nietzsche hat sie einem anderen nur nachgesprochen.« – »Wem?« Der Professor schaut mich verdutzt an. – »Diese Frage stellte der römische Statthalter Pilatus an Jesus Christus, als er diesen verhörte. Aber leider hat er die Antwort Jesu nicht abgewartet.« – »Ich gebe mich geschlagen. Studieren Sie weiter. Wir bleiben im Gespräch.« Eberhard Platte