Im Juni 1520 wird die Bannandrohungsbulle »Exsurge Domine« in der päpstlichen Kanzlei ausgefertigt. Widerruft Luther, so wird ihn der Papst wieder in den Schoß der Kirche aufnehmen. Widerruft er nicht, so verfällt er dem Bann. Der Stein ist im Rollen. Im November erscheint Luthers Schrift »Von der Freiheit eines Christenmenschen«. Luther legt dar, dass die Freiheit der Kinder Gottes auf dem Evangelium ruht. Christus macht die Gläubigen frei vom Werk, vom Gesetz, von der Welt und ihren Mächten. Durch die ganze Schrift hindurch zieht sich eine Frage: Muss wirklich diese Lehre, die nichts anderes enthält als das Evangelium, als bösartige Ketzerei, als Ausgeburt der Hölle verdammt werden? Luther ruft die gefallene Kirche zur Umkehr, doch weder Papst noch Kaiser hören auf ihn. Der Bann ist immer noch eine furchtbare Waffe. Auch die Staatsmänner und Gelehrten, welche die Durchführung verzögern oder verweigern, wagen es nicht, die Bulle grundsätzlich abzulehnen. Da tut Luther den Schritt, den er schon im Juli angekündigt hat. Am Morgen des 10. Dezembers drängen sich in Wittenberg Studenten und Professoren um einen brennenden Scheiterhaufen. Die Werke des päpstlichen Kirchenrechts und einige scholastische Bücher werden ins Feuer geworfen. Dann tritt Luther, zitternd und betend, hinzu und wirft mit den fast unhörbar gesprochenen Worten »Weil du den Heiligen Gottes verderbt hast, deshalb verderbe dich das ewige Feuer« ein dünnes Heft ins Feuer - die Bannbulle. Außer ihm ahnt wohl keiner der Teilnehmer die Tragweite dieses Schritts. Luther hat im Namen Gottes Hand an die gesamte kirchliche Ordnung seiner Zeit gelegt. - Für die Wahrheit einzustehen, ist manchmal so wichtig, dass man um anderer willen sogar sein Leben aufs Spiel setzen muss. Gabi Singer