James Keller schrieb einmal über die verschiedenen Maßstäbe, die wir bei gleichem Sachverhalt bei uns und bei anderen anlegen. So sagte er:
Wenn der andere so handelt, ist er eklig. Wenn du es tust, sind´s die Nerven. - Wenn der andere auf seiner Meinung beharrt, ist er eigensinnig, Tust du es, zeigst du Standhaftigkeit. - Wenn er deine Freunde nicht mag, hat er Vorurteile. Magst du die seinen nicht, beweist du damit Menschenkenntnis. - Wenn er versucht, anderen entgegenzukommen, will er sich einschmeicheln. - Wenn du es tust, bist du taktvoll. - Wenn er für etwas längere Zeit braucht, ist er tödlich langsam. - Wenn du nicht von der Stelle kommst, bist du bedachtsam.
Für unser Verhalten finden wir schnell eine positive Deutung, zumindest aber »mildernde Umstände«, bei dem anderen halten wir es gleich für eine bodenlose Frechheit, für Gleichgültigkeit, Habgier, Falschheit und was es sonst noch alles gibt.
So messen wir mit zweierlei Maß, wobei der andere immer den Kürzeren zieht. All das machen wir, um uns herauszustreichen und den anderen nach unten zu drücken. Dabei vergessen wir ganz, dass Gott den Bedrückten beisteht und dem Hochmütigen widersteht. Außerdem sollten wir unseren Tagesspruch ernsthaft unter die Lupe nehmen. Da wird gesagt, dass an uns die gleiche Elle angelegt wird, die wir an andere angelegt haben. Das allein sollte genügen, barmherzig mit den Schwächen unserer Mitmenschen umzugehen und ihnen schnell zu vergeben, damit auch uns vergeben wird; und auch nicht jedes Wort auf die Goldwaage zu legen, damit auch uns Barmherzigkeit erzeigt wird; denn nicht wir, sondern Gott hat das letzte Wort.
Hermann Grabe