Leonardo da Vinci, das italienische Universalgenie, wurde vor allem durch seine Malerei berühmt. Neben einer unübersehbaren Fülle von Zeichnungen schuf er Gemälde von höchster Vollkommenheit, darunter das »Heilige Abendmahl« im Refektorium von Santa Maria delle Grazie in Mailand. Bei dem gewaltigen Fresko ging es dem Künstler vor allem darum, dass die Gestalt des HERRN die Blicke auf sich zieht. In einem Teil des Bildes hatte er in dreiwöchiger Arbeit ein kleines Schiff gemalt. Als das Werk vollendet war und dem Volk präsentiert wurde, bemerkte er, dass die Leute sich an der Stelle zusammendrängten, an der das Schifflein zu sehen war. »Seht nur, wie wundervoll; da sieht man, ein wie großer Maler er ist!«, hörte er sie sagen. Das gefiel dem Meister gar nicht: Hier saß der Sohn Gottes kurz vor seiner Festnahme im Kreise seiner wenigen Getreuen, seinen Opfergang vor Augen, und diese ergötzten sich an einem nichtssagenden Detail! Da nahm er, als er abends allein war, kurzerhand den Pinsel und löschte das kleine Schifflein für immer aus. Denn er sagte: »Niemand soll je wieder in meinem Bild auf etwas anderes seine Bewunderung richten, als auf Jesus!«
Auch in unserem christlichen Umfeld gibt es vieles, was uns von Jesus Christus ablenkt und ihm die Ehre raubt. Da gibt es prunküberladene Sakralbauten, großartige Zeremonien, bombastische Veranstaltungen - und viele »kleine Schifflein«. Man kann sogar das »Heilige Abendmahl« ohne den feiern, der es eingesetzt hat. Der große Maler zeigte sich konsequent. Wir wissen zwar nicht, ob Jesus Christus in seinem Leben den zentralen Platz einnahm wie in seiner Komposition; aber seine beherzte Korrektur ist nachahmenswert! Johann Fay