Für die Jünger Jesu ist eine Welt zusammengebrochen. Sie hatten so große Erwartungen in ihren Lehrer als den König Isaels gesetzt, stattdessen steckt ihnen seine grausame Hinrichtung vor knapp drei Tagen noch in den Knochen. Verwirrung und Hilflosigkeit haben sich breitgemacht.
Auch Maria, die sich bereits in der ersten Morgendämmerung auf den Weg zum Grab gemacht hat, ist schier verzweifelt. Versetzen wir uns einmal in ihre Lage: Angst hat sie. Angst, dass nun ihre Vergangenheit sie wieder einholt. Hatte er sie nicht damals von ihren furchtbaren Bindungen befreit? Sie war seitdem immer in seiner Nähe geblieben, weil sie spürte, dass nur er ihr die Garantie für ihre innere Freiheit geben konnte. Verzweifelt sitzt sie nun vor dem offenen Grab und klammert sich an die Erinnerungen, sucht nach irgendetwas Handgreiflichem. Ihr geht es ähnlich wie vielen Menschen heute, die nach einer Sicherheit für ihr Seelenheil suchen. Etwas, was man bei sich trägt. Etwas, an dem man seinen Glauben festmacht: ein Kruzifix, eine Ikone, der Taufschein ...
Doch Jesus Christus zeigt sich Maria als der Auferstandene, als der, der den Tod besiegt hat, und er löst sie von allem, was man festhalten möchte: »Rühr mich nicht an«, sagt er ihr - mit anderen Worten: »Du brauchst nicht irgendeinen mystischen Gegenstand, du brauchst nicht etwas Materielles, an dem du dein Seelenheil festmachst. Den Glauben kannst du nicht mit Händen greifen. Den muss man im Herzen haben. Du kannst mich nicht anfassen, nicht in der Hand halten. Aber du darfst mir glauben, mir vertrauen. Nicht du hältst mich, sondern ich halte dich!« Eberhard Platte