Der Schiffbrüchige Robinson Crusoe in dem Defoe-Roman hatte sich bald nach seiner Ankunft auf der einsamen Insel mit Hilfe von geritzten Strichen einen Tageskalender erstellt. Daran konnte er die Zeit abmessen, wie lange er sich schon an diesem Ort befand. Er konnte damit allerdings nicht bestimmen, wie viele Tage, Wochen oder Jahre er in Zukunft noch auf der Insel verbringen würde. Ganz anders die Wehrpflichtigen meiner Generation. Ich habe von manchem gehört, der sich gegen Ende seiner Dienstzeit ein Maßband nahm, um jeden Tag einen Zentimeter davon abzuschneiden. So konnte er mit einem Blick genau feststellen, wie »lang« es noch bis zum ersehnten Tag dauerte.
Doch beides meint Gott nicht, wenn er uns kundtun will, welches das Maß unserer Tage ist. Wobei das immer kürzer werdende Zentimeterband schon in die richtige Richtung weist; es erinnert uns daran, dass ein Ende bevorsteht. Das Ende unseres Lebens. Doch niemand weiß, wie viel Zeit noch bis zu diesem Ende bleibt. Wir alle können lediglich abmessen, wie lang die Dauer unseres Lebens bis jetzt währte. Und darin liegt die große Chance des Alters! Einem älteren Menschen wird viel mehr bewusst, wie vergänglich sein Leben ist. In dem Maße, wie die Menge der verlebten Tage sich erhöht, wird die noch verbleibende Zeit verkürzt. Das meint »unsere Tage richtig zählen« (Psalm 90,12): Immer wenn wir – wie in dem Beispiel von Robinson Crusoe – einen Strich auf der Maßlatte unseres Lebenskalenders hinzufügen, wird ein Segment von der Gesamtlänge entfernt. Sind wir uns dessen bewusst? Andreas Möck