Es war ein erhebendes Gefühl für mich als Kind, wenn ich im Herbst meinen Drachen steigen lassen konnte. Ab und zu machte ich den Versuch, ihm schnell einige Meter Leine zu geben. Das Ergebnis war für mich immer wieder überraschend. Statt zu steigen, fing er an zu torkeln und abzustürzen. Gab es sogar einen Seilriss, dann landete er nicht nach einigen Tagen auf dem Mond, sondern in kurzer Zeit im nahegelegenen Wald oder sogar mitten im Dorf. Dieses Erlebnis wurde mir zu einer Lektion für mein Leben.
Wer von uns möchte nicht gerne im Leben »aufsteigen«? Die Erfolgsleiter hochzuklettern ist nicht unmoralisch. Möglichst frei und ungebunden wollen wir planen. Weder der Ehepartner noch Vorgesetzte dürfen uns dabei »an die Leine nehmen«. Doch plötzlich kommt eine Turbulenz nach der anderen. Sie lassen unser Leben »abstürzen«. Unsere Ziele rücken in weite Ferne, Träume zerplatzen wie Seifenblasen. Wie gelähmt und vom Leben betrogen finden wir uns im Gestrüpp des Selbstmitleids und der Resignation wieder. Klagen steigen auf, auch gegen Gott. Ja, was habe ich denn nur falsch gemacht, wofür bestraft er mich? Stoßgebete kommen nur bis zur Zimmerdecke. Warum antwortet Gott nicht?
Doch Gott hat schon längst reagiert. Er weiß, was wir wirklich nötig haben. Bevor ein irreparabler Absturz kommt - für alle Ewigkeit - hat er Sie »an die Leine genommen« und einem endgültigen »Seilabriss« vorgebeugt. Neulich sagte mir ein Mann: »Durch einen fremdverschuldeten Unfall, der mich mit 28 Jahren zum Invaliden machte, habe ich Gott und damit den Sinn meines Lebens gefunden.« Helmut Blatt