Wer ist der Schnellste?

Man konnte ihn nicht leiden. Er war ein Hundertmeterläufer. Heute vor 60 Jahren, am 6. September 1958, hat Armin Hary in Friedrichshafen einen Weltrekord über 100 Meter aufgestellt: 10,0 Sekunden! Noch nie hatte ein Läufer das geschafft. Zehnkommanull! Der Jubel war groß. Aber er dauerte nicht lange. Die Funktionäre erkennen den Weltrekord nicht an. Sie lassen die Laufbahn vermessen und stellen fest: ein Zentimeter zu viel Gefälle.
Es scheint wirklich so: Man wollte ihn nicht. Zwei Jahre später nahm er am großen Leichtathletiksportfest in Zürich teil und läuft erneut die Fabelzeit. Doch das Rennen wird wegen angeblichen Frühstarts annulliert. Hary besteht auf einer Wiederholung und wird 35 Minuten später ein zweites Mal Sieger in 10,0 Sekunden. – Nein, leiden konnte man ihn nicht, er passte nicht ins Schema. Nach dem Einmarsch ins Olympiastadion in Rom finden die Funktionäre weitere Gründe, ihn zu maßregeln. Er habe seinen Hut unschicklich zu weit im Genick getragen. Das Finale entwickelt sich zum Nervenkrieg. Nach insgesamt drei Fehlstarts wird Armin Hary am 1. September 1960 Olympiasieger und gewinnt die Goldmedaille im Hundertmeterlauf und in der 4 x 100-m-Staffel.
Irgendwie passte auch Jesus nicht ins Schema, weil er ganz anders predigte als die Schriftgelehrten. Weil er ihre zur Schau gestellte Frömmigkeit durchschaute. Wie provozierend musste das für sie sein, wenn Jesus sagte: »Der Sabbat ist um des Menschen willen geschaffen worden und nicht der Mensch um des Sabbats willen« (Markus 2,27). Weil er keine frommen Taten akzeptierte, sondern stattdessen den Glauben forderte, geriet er bei den Religiösen in Misskredit. Jesus passte ihnen nicht ins Konzept. Darum haben sie ihn aus Neid an Pilatus überliefert. Eberhard Liebald