Eine merkwürdige Zweckentfremdung: Gideon nutzt eine Wein-Kelter als Dreschplatz. Das ist in etwa so, als würde man einen Teppich im Wohnzimmer ausklopfen, statt vor der Tür. In dieser Kelter - einer Felsrinne - stand man sonst knietief im Rebensaft, dass es nur so spritzte. Gideon steht zwar in der Kelter, aber alles ist eingestaubt. Staub statt Saft. Hier hatte er vor Jahren noch karrenweise Trauben hingefahren, aber jetzt lagen die Weinberge schon lange brach. Wo man einst saftige Trauben presste, drosch er nur auf etwas dürres Korn ein. Müsli statt Most! Haferflocken statt Spätlese halbtrocken. Wirklich zum Weinen! Und dann musste es auch noch schnell gehen, sehr schnell. Der Weizen musste flüchtig gedroschen und vor den Feinden versteckt werden. Wein braucht Zeit, aber hier reichte es nur für Fastfood: Überleben statt Überfluss. Der Fels der Kelter schimmerte zwar noch ein wenig rot, aber eine dicke Staubschicht lag darüber.
Erinnert das nicht an das eingestaubte »Christentum« in unserem Land? Hier gab es mal geistliche Blütezeiten und viel Frucht. Es gab gottesfürchtige Oberhäupter, Aufbrüche, Bewegungen, tätige Nächstenliebe. Aber der Staub der Jahrhunderte hält die lebendigen Erinnerungen bedeckt. Geblieben ist eine leichte christliche Färbung und kalte Monumente - eine traditionsgemäße Religiosität ohne Saft und Kraft. Leider wird auch heute von vielen Kanzeln nicht »gekeltert«, sondern »leeres Stroh gedroschen«! Es herrscht geistliche Armut und Mangel. Doch Gott will, dass wir wie Gideon, mit bescheidenen Mitteln und kleiner Kraft einen Aufbruch wagen, hingehen in eine geistlich hungrige Welt.
Andreas Fett