Die Oma war arm, bettelarm sogar. Oft hatte sie nur Kartoffelschalen im Topf, die sie irgendwo gefunden hatte. Das ging schon jahrelang so; aber sie nahm ihr Schicksal geduldig an, ohne ihre Umwelt mit Klagen zu behelligen. Eines Tages bekam sie Besuch von dem neuen Gemeindepfarrer. Ihm sprang der Mangel und die Bedürftigkeit aus allen Ecken entgegen, und die Alte tat ihm herzlich leid. Er erkundigte sich nach ihrer Verwandtschaft und ob sie Kinder habe.
»Ja,« sagte sie, »ich habe einen Sohn, der ist Arzt in Amerika!« »Schreibt der Ihnen denn gar nicht? Der könnte doch ein wenig für Sie sorgen,« meinte der Seelsorger. »Doch, doch« sagte die alte Frau ganz eifrig: »Er schreibt mir jeden Monat und legt mir zu jedem Brief ein Bild dazu, mal rot, mal grün, mal blau.« Daraufhin holte sie einen Schuhkarton aus dem Schrank, der voller Dollarscheine war. Sie war also eine reiche Frau – und aß Kartoffelschalen!
So geht es vielen Christen. Sie schleppen sich mühsam, still vor sich hinklagend durch´s Leben, haben weder Mut zu festem Glauben, noch können sie den täglichen Versuchungen widerstehen, dabei steht ihnen der ganze Reichtum ihres himmlischen Vaters zur Verfügung, wenn sie es nur im Glauben annehmen wollten!
Und was sollen die Menschen ohne Glauben von solchen Christen denken? Lohnt es sich, die Hoffnung auf irdische Güter, irdisches Glück zugunsten eines solchen Jammerdaseins dranzugeben? Nietzsche, der große Philosoph, hat einmal sinngemäß gesagt: »Wenn ich an einen Erlöser glauben sollte, müssten seine Nachfolger erlöster aussehen!« Er hatte Recht! Aber der Fehler liegt nicht bei Gott, sondern bei uns.
Hermann Grabe