An einem Bahnsteig kam ich mit einem älteren Herrn über Gott ins Gespräch. »Nein, das, was Gott von einem verlangt, geht doch gar nicht«, war seine Einstellung. Was meinte er nur? Ich hakte nach. »Na, dass wir unsere Feinde lieben sollen. So etwas kann man doch nicht verlangen!« Nun, was sollte ich da antworten? Und wir kamen auch zu keinem gemeinsamen Konsens. Auf jeden Fall hatte ich einen Menschen kennengelernt, dem bewusst war, dass wir Menschen den Maßstäben Gottes nicht genügen.
Die Aufforderung, unsere Feinde zu lieben, ist Teil der sogenannten Bergpredigt, die Jesus am Ufer des Sees Genezareth hielt. »Liebt eure Feinde« ist quasi die Überschrift. Danach folgt eine erklärende, dreifache Stufenfolge, wie sich diese Liebe in Wort und Tat äußern soll:
1. Dem Hass soll etwas Gutes entgegengesetzt werden. »Tut Gutes« meint nicht Passivität, sondern ist sehr praktisch. Gründlich muss ich mir überlegen, was der andere braucht.
2. Segensworte sollen auf Fluch-Worte erwidert werden. Es ist doch interessant, wie viel auf der Ebene der Worte ausgetragen wird. Das gehörte Wort ermöglicht dem anderen, Rückschlüsse zu ziehen, mit wem er es zu tun hat.
3. Wo die gute Tat oder das Segenswort den feindlichen Hass nicht zu tilgen vermag, soll das Letztmögliche getan werden, nämlich ein Gebet der Fürbitte. Sobald ich für jemanden bete, gebe ich meine Last bei Gott ab; meine eigenen bösen Gedanken brechen ab.
Der oben erwähnte Mann am Bahnsteig hatte recht. Aus eigener Kraft kann ein Mensch niemals seine Feinde lieben. Das wäre unmöglich. Er muss selbst zuerst einsteigen in ein Leben mit Gott. Dann wird der Mensch zu einem Botschafter an Christi statt. Stefan Taube