Bevor unsere beiden jüngeren Kinder nach Deutschland zurückgingen, machten mein Sohn und ich eine letzte gemeinsame Bergtour. Da ich zuckerkrank bin, hatte ich etwas Bedenken, wie ich mit der körperlichen Belastung auf ca. 2500 m Höhe hier in Zentralasien zurechtkomme. Es verlief dann alles glatt, und ich kam mit viel Schnaufen, aber wohlbehalten auf dem Gipfel an. Dort bestaunten wir die Landschaft, die sich unter uns ausbreitete. Der Narynfluss hat im Laufe der Jahrtausende das Tal tief eingeschnitten, und die Schichten der Berge lassen auf Spuren vergangener Zeitalter schließen. Zarte grüne Wiesen ringsum, dazu der tiefblaue strahlende und wolkenlose Himmel mit dem Panorama von Viertausendern in der Ferne, alles zusammen raubte uns schier den Atem. Doch dann erschraken wir beide, weil über uns plötzlich Schatten sichtbar wurden. Vier Geier zogen mit der Luftströmung ihre Kreise, bis sie genauso spukhaft wieder verschwanden.
Alle diese Eindrücke machten uns in unseren eigenen Augen unendlich klein. Das Bewusstsein eines großen Schöpfers, der dies alles mit Weisheit und Liebe geschaffen hat, nahm uns völlig ein. In solchen Momenten kann ich nachvollziehen, dass die Schreiber der Psalmen aus vollem Herzen Gott loben und ihn als Schöpfer anbeten: »Die Himmel erzählen die Herrlichkeit Gottes, und das Himmelsgewölbe verkündet seiner Hände Werk« (Psalm 19,2); »Du hast einst die Erde gegründet, und die Himmel sind deiner Hände Werk« (Psalm 102,26). Und das Wunderbare ist: In der Bibel begegnet mir dieser großartiger Schöpfer als ein persönlicher Gott, der sich für mich interessiert, auch wenn ich noch so bedeutungslos sein mag.
Rudolf Kühnlein