Endlich! Erschöpft sinkt er vor dem Kreuz auf die Knie und kann die Tränen nicht zurückhalten, als er das kalte Metall umklammert. Dieses Kreuz ist nicht irgendeines; in 4477 Metern Höhe steht es auf dem Gipfel des Matterhorns. Und der da im Schnee kauert, ist einer der größten Alpinisten: der Italiener Walter Bonatti.
Den Berg über einen seiner vier Grate zu besteigen, konnte ihn nicht mehr reizen. Die gewaltige Nordwand wollte er bezwingen, auf einer noch nie begangenen Route - im Winter, allein! Das sind vom Wandfuß bis zum Gipfel 1200 Meter sich auftürmender Fels, manchmal senkrecht oder überhängend, und oft vereist. Bonattis »Klettertechnik« ist ziemlich zeit- und kraftraubend, weil er alle 40 Meter - so weit reicht sein Seil - wieder daran hinuntergleiten muss, um seinen schweren Rucksack nachzuholen. Also zweimal den Berg rauf und einmal runter!
Viermal muss er in der düsteren Wand biwakieren. Einmal sitzt er bei 30 Grad unter Null auf einem 30 cm breiten Vorsprung und schlägt die ganze Nacht im Halbschlaf die Füße gegeneinander, um nicht zu erfrieren. Und dann wieder klettern, klettern, klettern, es will kein Ende nehmen. Am sechsten Tag sieht er unverhofft 50 Meter über sich - das Gipfelkreuz! Welch ein Symbol in dieser erstarrten, lebensfeindlichen Felswüste, die ihm alles abverlangt hat!
»Komm zum Kreuz mit deinen Lasten«, so beginnt ein Lied. Das meint: Bring dein belastetes Leben, dich selbst, dem Erlöser Jesus Christus, der am Kreuz für uns starb. Er bietet viel mehr, als »Gipfelglück«. Und der »Gang zum Kreuz« dauert nicht länger als ein Gebet. - Man wüsste zu gerne, was der Kletterer Bonatti da oben empfunden hat ... Johann Fay