Der im 14. Jahrhundert lebende Herzog Raynald III. lebte solch ein ausschweifendes Leben, dass er äußerst übergewichtig wurde und so meist mit seinem lateinischen Namen Crassus (»fett«) angesprochen wurde. Raynalds jüngerer Bruder Edward begehrte nach einigen Auseinandersetzungen gegen ihn auf und ließ ihn verhaften. Statt seinen Bruder zu töten, baute er einen etwas speziellen Gefängnisraum für ihn: Seine Zelle hatte offene Fenster und eine schmale unverriegelte Tür. Die Leibesfülle Raynald‘s hinderte ihn jedoch, zu entkommen. Edward versprach seinem Bruder, dass er frei sein könne, sobald er durch entsprechenden Gewichtsverlust fähig sei, den Raum zu verlassen.
Der perfide Edward erschwerte dieses Unterhaben jedoch dadurch, dass er seinem Bruder täglich kulinarische Köstlichkeiten bringen ließ. Dieser erlag der Versuchung und langte immer ordentlich zu: Statt für seine Freiheit abzunehmen, wurde er noch fetter und verbrachte ganze zehn Jahre in der offenen Zelle.
Obwohl diese eigenartige Anekdote zum Schmunzeln einlädt, verdeutlicht sie doch eine traurige Wahrheit: Viele Menschen sind Gefangene ihrer eigenen Lüste und Leidenschaften. Uns wird Freiheit versprochen, indem wir tun und lassen können, was wir wollen. Doch unser Appetit nach mehr schränkt uns stärker ein, als wir uns eingestehen wollen: Pornografie, Sammelleidenschaft, Kaufsucht, Anerkennungsstreben und vieles mehr nehmen Menschen gefangen, indem sie einen unstillbaren Durst wecken, der uns nach dem nächsten Kick trotzdem immer noch unzufrieden zurück lässt.
Jesus schenkt uns Freiheit, indem er uns vor den falschen Versprechen warnt, uns frei macht von vielerlei Süchten und unser Verlangen mit seinem tiefen Frieden stillt.
Sebastian Lüling