Bevor der Herr Jesus Christus seinen Zuhörern das »Vaterunser« als Mustergebet vorstellte, sagte er unmissverständlich, wie man nicht beten soll! Mit Sicherheit war er sich im Klaren darüber, welcher Missbrauch später mit diesem Gebet getrieben und wie oft es gedankenlos heruntergeleiert werden würde. Und doch heißt es bei den Zehn Geboten: »Du sollst den Namen des HERRN, deines Gottes, nicht missbrauchen; denn der HERR wird den nicht ungestraft lassen, der seinen Namen missbraucht.« Auch der Prediger Salomo gibt zu bedenken: »Gott ist im Himmel, und du bist auf der Erde, darum seien deiner Worte wenige« (Prediger 5,1).
David geht noch einen Schritt weiter: »Du (Gott) verstehst meine Gedanken von ferne ... Es ist kein Wort auf meiner Zunge, das du, HERR, nicht schon wüsstest« (Psalm 139,2.4). Und die Dichterin Jane C. Simpson (1811-1886) schreibt: »Wenn mir die Worte fehlen, Du siehst den Glaubensblick, Du kennst den Grund der Seelen und ordnest mein Geschick.«
Das alles soll keine Bestätigung für die Regel sein: »Je kürzer umso besser!« Wir wissen, dass heilige Leute ganze Tage und Nächte hindurch gebetet haben, weil ihre Herzen von so vielen Dingen beschwert oder aber von so viel Lob und Dank erfüllt waren, dass sie nicht aufhören konnten. Und Gott antwortete ihnen immer wieder auf großartige Weise. Beim Beten kommt es nämlich nicht auf die Wahl oder die Menge der Worte an, sondern auf die Herzenshaltung, die wir Gott gegenüber haben. Und Gott hat Wohlgefallen an Leuten, die ihm mit aufrichtigem Herzen Bitten, Fürbitten und Danksagung bringen. Sie zeigen durch ihr Gebet, dass sie verstanden haben, völlig von Gott abhängig zu sein, und dass sie ihre Hilfe von niemand anderem erwarten.
Günter Seibert