Am Vorabend des 13. August 1962, also ein Jahr nach dem Mauerbau, stand ich im Alter von 17 Jahren in Marienborn an der Zonengrenze. Mit mir ein ganzer Bus quirliger, junger Leute auf dem Weg nach Berlin in eine Jugendfreizeit. Für die Grenzwächter war das wohl eher eine typische Demogruppe, die am Folgetag nichts anderes zu tun haben würde, als lauthals am Schutzwall des Arbeiter- und Bauernstaates zu demonstrieren. »Das werden wir denen mal austreiben«, mögen sie gedacht haben und hielten uns die ganze Nacht am Grenzpunkt fest. Eigentlich erreichten sie damit genau das Gegenteil. Wir waren geradezu in Hochspannung, mehr über die Folgen der Teilung für die Menschen in Berlin zu erfahren. Deshalb reisten wir mehrfach in den Ostsektor. Traurig machten uns die Gespräche mit alten Leuten, die nun nicht mehr ihre Verwandten und Freunde wiedersehen durften. (Die Besuchsregelungen für Berliner kamen erst viel später!). Ich schloss Freundschaften im Ostteil, wollte so gern helfen. Der »kalte Krieg« mit seinen Belastungen für die Menschen war förmlich greifbar.
Dann kam ein Höhepunkt der Machtdemonstration gegen mich persönlich. Ich hatte auf der Stalinallee einige Schallplatten mit klassischer Musik erworben, die ich im Tränenpalast (Bahnhof Friedrichstraße, Übergangskontrolle zum Westen) artig vorzeigte. Dort wurde ich sofort festgenommen mit dem Hinweis, dass die Ausfuhr von Tonträgern gesetzlich verboten sei. Schier endlose Verhöre durch fünf (!) Stasibeamte folgten. Anstrengend war besonders die Unklarheit, wie lange ich verhaftet bleiben würde - Stunden, Tage, Wochen? Ich schickte viele Stoßgebete zum Himmel. Nach etwa 6 Stunden kam ich frei. Klaus Spieker