Nicht nur Kinder und Dichter haben sich von Schnee in seinen vielfältigen Formen in den Bann ziehen lassen. Man nannte die Schneeflocken Zaubersternchen, Kleinodien oder Brillantagraffen (Thomas Mann), und selbst der begabteste Juwelier könnte sie nicht nachbauen. Dem US-Farmersohn Wilson »Snowflake« Bentley gelang am 15. Januar 1885 erstmals die mikroskopische Aufnahme einer Schneeflocke. Er war so fasziniert, dass er in den folgenden 47 Jahren 5000 verschiedene Exemplare fotografierte. Er lobte und beklagte: »So viel Schönheit verschwindet einfach, ohne eine Spur zu hinterlassen.« Der Formenvielfalt sind keine Grenzen gesetzt. Der Schöpfer hat sich eine Methode der Entstehung ausgedacht, bei der es in der ganzen Weltgeschichte auch nicht bei einem einzigen Exemplar eine Wiederholung gibt.
Nur bei Wolkentemperaturen zwischen 0 und -3 Grad und zwischen -10 und -22 Grad Celsius entstehen die wunderschönen sechsstrahligen Dendriten. Je feuchter die Luft ist, um so graziler wachsen die Ärmchen. Bei klirrender Kälte und klarer Luft steigt die Chance, einen Kristall in reiner Schönheit aufzufangen. Je mehr Umwege er aber auf seiner Route durch Wind und Thermik einschlagen muss, je häufiger er friert und wieder schmilzt oder mit anderen Flocken zusammenprallt, umso zerzauster kommt er unten an. Seine einzigartige Gestalt hängt somit auch vom individuellen Weg ab. Der japanische Forscher Ukichiro Nakaya bekannte voller Staunen: »Jeder Schneekristall ist ein Brief, der uns vom Himmel gesandt wurde.« Dem Psalmisten erging es ebenso, wenn er ausruft: »Ich will nachdenken über all dein Tun, und über deine Taten will ich sinnen« (Psalm 77,13). Werner Gitt