»Sofort Rettungskräfte herschicken!«, schreit der Bostoner Polizist Frank McManus in eine Notrufsäule. »Eine Welle von Melasse rast die Commercial Street runter!« Frank hört bei einer Hafenstreife das Knirschen von Nieten. Dann sieht er nur noch, wie aus einem fünf Stockwerke hohen Tank ein brauner Zuckerguss hervorbricht und sich ihm entgegenwälzt – der gesamte Zuckervorrat einer Schnapsbrennerei. Eine süße Lawine – aber so tödlich wie Lava! Am 15. Januar 1919 ereignet sich dieses bizarre Unglück.
Die Melasseflut schwappt bis zu 8 Meter hoch in die Bostoner Innenstadt. Die Springflut aus 9 Mio. Litern Zuckersirup wird zur unentrinnbar klebrigen Falle. Sie zermalmt Fahrzeuge, walzt Gebäude platt, stürzt Lkw in den Hafen und reißt 21 Menschen in den Tod. 150 Menschen werden schwer verletzt. Pferde starben wie Stubenfliegen auf einem Fliegenfänger. Selbst die Retter bleiben in dem Sirup stecken. Ein Feuerwehrmann kommt uns Leben. Monatelang reizt der beißend-süßliche Gestank die Atemwege. Erst ein halbes Jahr später sind die Straßen vollständig von dem Sirup gereinigt.
Eine vergleichbar klebrige Flut ergießt sich aus allen Kanälen der Medien. Sie kennt kein Halten. Im Internet – Sammelbecken der Schamlosigkeit – schwappt uns eine Springflut an Perversion entgegen. Sie reißt mit unwiderstehlicher Klebrigkeit viele mit sich. Ein »Melassaker der Seelen«. 1919 berichteten Augenzeugen: »Taillentief bedeckte Melasse die Straße. Aus dem zähen Zuckerguss kamen zuckende Gestalten zum Vorschein – nicht mehr erkennbar, ob es ein Mensch oder ein Tier war, das sich da freizukämpfen suchte.« Die widerliche Internet-Walze zeigt ganz ähnliche Wirkung. »So tu denn dies, mein Sohn: Reiß dich los!« (Sprüche 6,3).
Andreas Fett