Joseph von Arimathäa lebte in einem inneren Widerspruch. Einerseits war er ein angesehenes Mitglied des Hohen Rates, andererseits ein heimlicher Jünger Jesu. Ein offenes Bekenntnis hatte er vermieden, da für ihn viel auf dem Spiel stand: sein Amt, sein Ansehen und sicher noch mehr. Durch die Gefangennahme und Verurteilung Jesu hatte sein innerer Widerspruch eine starke Zuspitzung erfahren. Er musste eine Entscheidung treffen, ob er seinen Glauben öffentlich machen wollte.
Nach dem Tod Jesu wurde Joseph mutig. Er hatte gesehen, wie sein Meister starb, dem er nur im Geheimen zu folgen bereit war. Was oberflächlich banal scheint, als er darum bat, den Leib Jesu vom Kreuz abnehmen und begraben zu dürfen, war tatsächlich sein »Outing« als Jünger Jesu. Er wagte es, zu Pilatus hineinzugehen. Nach Sitte der Pharisäer war er schon durch sein Eintreten ins Haus des Pilatus zeremoniell unrein, nachdem er aber Jesus vom Kreuz abgenommen hatte, konnte er überhaupt nicht mehr am Passahfest teilnehmen, weil er eine Leiche berührt hatte. Ohne Worte, aber durch Taten war so für jeden deutlich, auf welcher Seite Joseph stand. Er war mutig geworden und hatte eine Entscheidung getroffen – aus Liebe. Er überließ Jesus Christus sein neues Grab, aus dem dieser auferstand.
Wenn Joseph am Ende seines Lebens zurückschaute, wird er diesen Tag sicherlich als den Wendepunkt seines Lebens bezeichnet haben. Und auch wenn sein Leben anschließend ein ganz anderes war, ohne Ansehen und Macht und vieles mehr, wird er diese Entscheidung sicherlich nicht bereut haben. Die Liebe, die Jesus am Kreuz gezeigt hat, motivierte Joseph, der Welt seine Liebe zu seinem Herrn zu zeigen.
Simon Franz