Die Kollegin telefoniert. Nach einiger Zeit merke ich, dass das Gespräch nicht geschäftlicher, sondern privater Natur ist. Sie spricht mit ihrem Sohn. Ihr Ton wird von Minute zu Minute ungeduldiger bis sie völlig genervt ihren Sohn anherrscht, sie jetzt endlich in Ruhe weiterarbeiten zu lassen. Durch die Belanglosigkeiten der Themen kann ich einerseits die Ungeduld der Kollegin verstehen, wie ich gleichzeitig das Bedürfnis des Jungen nach einem Gesprächspartner, nach Verständnis bzw. Zuwendung verspüre. Nach Hause zu kommen, eine leere Wohnung vorzufinden und mit niemandem sprechen zu können, ist nicht leicht. Wenn dann Mutter und Vater abends müde und ruhebedürftig von der Arbeit kommen, wollen sie wieder nicht gestört werden. Das ist der Alltag einer zunehmenden Zahl Jugendlicher.
Kein Wunder, bemerkt der Chefarzt der Augsburger Jugendpsychiatrie, dass »das Geld, der Erfolg, das Ansehen, dem die Eltern nachjagen, den Kindern Vater und Mutter wegnehmen, weil sie zu beschäftigt sind, um sich um den Nachwuchs zu kümmern. Die Kinder versuchen deshalb, die Lücken in ihrem Seelenleben irgendwie zu füllen: indem sie die Raffsucht der Eltern nachahmen, im schlechtesten Fall mit der Hinwendung zu Sekten und Drogen.«
Schon Salomo wusste darum, dass vernachlässigte Kinder ihren Eltern Schwierigkeiten machen. Wenn wir uns vor diesen Schwierigkeiten und unsere Kinder vor irrigen Versuchen, ein sinnvolles Leben zu führen, bewahren wollen, dann fragen wir uns jetzt und heute, ob wir unseren Kindern ganze Eltern sind. Mit Gottes Hilfe können wir Fehlentwicklungen in unserem Familienleben korrigieren und zu einem guten Miteinander zurückfinden.
Gerhard Kimmich