Eine nette Verkäuferin berät mit unendlicher Geduld einen schwierigen Kunden. Nur gut, dass der Kunde keine Gedanken lesen kann. Er würde empört den Laden verlassen. Ein unbekannter Dichter schrieb dazu einen treffenden Vers:
Wenn jeder hätt' an seiner Stirn
aus Glas ein Fensterlein
dahinter die Gedanken schwirr'n
und jeder könnte seh'n hinein,
was gäb' das ein Rennen und ein Laufen,
um matte Scheiben einzukaufen.
Im zwischenmenschlichen Bereich ist es oft hilfreich, wenn man seine Gedanken verbergen und die Zunge im Zaum halten kann. Wenn man andererseits Gedanken oder Gefühle zum Ausdruck bringen will, fehlen oft die passenden Worte, und man wird leicht missverstanden.
Besonders wenn Meinungsverschiedenheiten aufgetreten sind, ist es selbst zwischen Menschen, die sich schon lange kennen, wichtig, dass man sich präzise ausdrückt, um Missverständnisse zu vermeiden. Schon eine kleine Abweichung des Tonfalls kann bewirken, dass eine als reine Information gemeinte Mitteilung vom Gesprächspartner als persönlicher Angriff gewertet wird.
Im Gespräch mit Gott ist das anders. »Schon bevor ich rede, weißt du, was ich sagen will« (Ps 139,4). So lautet unser Tagesvers in einer anderen Übersetzung. Gott versteht unsere Gedanken und Gefühle, bevor wir Worte daraus gemacht haben. Da sind Missverständnisse von vornherein ausgeschlossen. Gott versteht uns in einer Weise, wie uns kein Mensch verstehen kann. Ihm können wir allerdings auch nichts vormachen, denn er kennt auch unsere Hintergedanken.
Günter Seibert