Wir haben seit ein paar Wochen ein Pflegekind. Es kommt aus Verhältnissen, in denen der Junge so ziemlich ohne Regeln aufwuchs. Dafür scheint er viel Zeit vor dem Fernseher verbracht zu haben. Unter anderem haben es ihm die Engel sehr angetan, von denen wohl in manchen Zusammenhängen die Rede gewesen sein muss. Es gibt ja nach verbreiteter Ansicht alle möglichen Schutzengel, zu denen man beten kann oder die man als kleine Talismane am Schlüsselbund oder am Autospiegel hängen hat, oder sie bringen im Namen einer Versicherung alte Leute und kleine Kinder sicher über die Straßen.
So fragte er wiederholt: »Wo sind die Engel?«, oder: »Was machen die Engel?«, oder: »Wozu gibt es Engel?« Aber auch bei anderen »Problemen« hat er den ganzen Tag über Fragen, so dass ich manchmal ganz müde davon bin.
Neulich gingen wir spazieren. Als er den Mond sah, fragte er: »Warum fährt der Mond?« Und gleich danach: »Fahren die Engel auf dem Mond?« Tatsächlich erscheint es ja, wenn man geht, als folge uns der Mond hinter den Bäumen oder Gebäuden immer nach.
Ich versuchte, ihm vorsichtig zu erklären, was ich über die Engel aus der Bibel weiß. Dabei wurde mir klar, dass der heutige »Engelboom« auf das Bedürfnis der Menschen nach irgendwelchen Sicherheiten in einer bedrohlichen Welt zurückzuführen ist. Aber warum glaubt man lieber an Engel als an den allmächtigen Gott?
Die Antwort ist wohl diese: Engel stellt man sich als nett, klein und niedlich vor. Die hat man im Notfall immer noch im Griff. Gott aber – so spüren die Leute – ist groß und heilig und nicht so leicht »an den Schlüsselbund zu hängen«. Und vor ihm sind die Menschen seit Adam und Eva auf der Flucht. Dabei kann wahre Hilfe nur von ihm allein kommen.
Anna Schulz