In unserem Tagesvers steht, dass Gott uns nur dann vergibt, wenn auch wir bereit sind, anderen zu vergeben. Dazu erzählte Jesus Christus an anderer Stelle ein Gleichnis (Matthäus 18,21-35): Ein Knecht schuldete seinem Herrn einen Riesenbetrag. Weil er aber um Gnade bettelte, erließ ihm der König die gesamten Schulden. Als aber der gleiche Knecht kurz darauf von einem Mitknecht gnadenlos die Bezahlung einer vergleichsweise geringen Schuld einforderte, machte der König die bereits zugesagte Befreiung von seiner Riesenschuld wieder rückgängig. – Ohne Zweifel: Jesus Christus hat unsere Schuld völlig bezahlt. Aber wenn wir nicht bereit sind, unseren Mitmenschen zu vergeben, dann haben wir nach den Worten Jesu ein Problem: Wir geraten in Konflikt mit Gott. Und wer ist sich schon sicher, dass er wirklich jedem vergeben kann und vergeben hat?
Das Geheimnis der Vergebung liegt einfach darin begründet, dass man erst, wenn man selbst Vergebung von Gott wirklich erfahren hat, vergeben kann. Man weiß dann einfach, wie es geht. Und jeder, der nicht vergeben kann, muss sich fragen, ob er Gottes Vergebung wirklich begriffen und dankbar angenommen hat, denn Gott hat es gewaltig viel gekostet: Er hat seinen Sohn in die Gewalt von Menschen gegeben, die nur eins im Sinn hatten: ihn zu beleidigen, zu verspotten, zu quälen, seine Ehre in den Schmutz zu treten und ihn schließlich an einem Kreuz festzunageln. Er war der Allmächtige – auch in diesen Augenblicken der scheinbaren Ohnmacht, als er bat: »Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun« (Lukas 23,34). Das war der Sieg der Liebe über den Hass und das Böse. Wer sich dessen wirklich bewusst wird, dass dies für ihn persönlich geschah, kann eigentlich gar nicht anders, als seinen Mitmenschen zu vergeben.
Günter Seibert