Als ich 16 Jahre alt war, wollte ich es auch einmal den großen Meistern gleich tun. Ich hatte mich vor einen Spiegel gestellt und versucht, mich selbst zu porträtieren. Alles, was ich brauchte, waren Pinsel, Farben, Leinwand und natürlich ein Spiegel.
In meinen Augen war Rembrandt Harmenz van Rijn (1606-1669) einer der größten dieser Meister. Von der Jugend bis zu seinem Lebensende hatte er zahlreiche Selbstportraits gemalt. Und trotz der hohen Anzahl dieser Darstellungen gleicht kein Bild dem anderen. Manchmal stellt man fest: Rembrandt hat einen eigentümlichen Spiegel gehabt. Wenn er auch sicher immer wieder den Blick in das blanke Wandglas tat, so ging sein inneres Auge doch zu einem weit lebendigeren Spiegel hin. Sein forschender Blick ging immer wieder in die Bibel hinein. Ja, er sah die Schilderungen der Heiligen Schrift wie einen Spiegel an. Und so hat Rembrandt in manche biblische Geschichte sich selber mit Pinsel und Farbe hinein gestellt. In einigen Personen entdeckte er sich wieder oder er hatte sich bewusst in sie hinein versetzt.
Eines der deutlichsten Beispiele dafür, wie Rembrandt durch die Heilige Schrift zu einer glasklaren Selbsterkenntnis kam, zeigt sein Gemälde »Die Kreuzaufrichtung«. Hier hatte der Künstler sich selbst als einen Kriegsknecht, der gerade das Holz mit dem gekreuzigten Christus aufrichtete, mitten ins Bild gesetzt. Diese Szene gewährt uns einen tiefen Einblick in das, was Rembrandt in seinem »Spiegel« sah: Er selbst, ein sündiger Mensch, hatte den Gottessohn ans Kreuz gebracht. Andreas Möck